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Bernd von Fehrn & Roxana Richters zu „Von uns wird es keiner sein“: „Ein sehnsuchtsvoller Film“

Die frisch gebackenen Gewinner des Produktionspreises auf dem Filmfest Hamburg, Bernd von Fehrn und Roxana Richters, sprechen im Interview über den prämierten ZDF-Film „Von uns wird es keiner sein“, der sensibel das Thema Suizid behandelt. Bernd von Fehrn äußert sich auch zu seinem Wechsel von Warner zu Network Movie.

Bernd von Fehrn, Roxana Richters und Simon Ostermann
V.l.: Die interviewten Bernd von Fehrn und Roxana Richters mit Produzentenkollege Alexander Wadouh bei der Verleihung des Produktionspreises (Credit: Claudia Höhne/Filmfest Hamburg)

Zur zeitlichen Einordnung: Das Interview mit Bernd von Fehrn und Roxana Richters fand vor der Verleihung des Produktionspreises beim Filmfest Hamburg statt. Deswegen wird die Auszeichnung selbst nicht im Gespräch thematisiert. Auch steht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht der genaue Ausstrahlungstermin des prämierten ZDF-Films „Von uns wird es keiner sein“ fest. Man sollte aber danach Ausschau halten.

Der neue ZDF-Film „Von uns wird es keiner sein“, der am Sonntag auf dem Filmfest Hamburg Premiere feierte, ist das vielleicht melancholischste Werk, was ich in diesem Jahr gesehen habe. Ist diese Wirkung beim Publikum beabsichtigt?

Roxana Richters: Eine gewisse Melancholie schwingt sicher automatisch mit. Uns war wichtig, einen Film zu machen, der Suizidalität und Krisensituationen thematisiert und sie dabei ernst nimmt. Weil es aber auch heikel ist, medial über solche Themen zu sprechen, wollten wir einen Film machen, der kein Risiko für Menschen darstellt, die selbst vielleicht solche Gedanken haben. Das war der Balanceakt. Wir haben versucht, die Schwere an vielen Stellen in Hoffnung und Lösungsansätze umzuwandeln. Nur wollten wir sie nicht aussparen.

Bernd von Fehrn: Melancholie war sicher nicht der Hauptantrieb in Bezug auf die Tonalität des Films. Und doch mag ich das Label, weil Melancholie auch Nachdenklichkeit und Sehnsucht bedeutet. Denn „Von uns wird es keiner sein“ ist ein sehnsuchtsvoller Film. Einer, der idealerweise Sehnsucht auf das Leben und nicht auf die Beendigung desselben machen soll – schwer, aber nicht schwermütig. Ich wünsche mir, dass unser Film zeigt, welche existentielle Schlüsselfunktion echte Kommunikation innehat. Sobald man in der Lage ist, in den wahrhaften Austausch mit anderen zu treten, ist die erste, ganz entscheidende Hürde genommen ist. Die im Zentrum der Erzählung stehende Freundesclique kommuniziert zwar unentwegt auf den unterschiedlichsten, multimedialen Wegen miteinander. Sie gehen aber in keinen ehrlichen und authentischen Dialog. Unsere Protagonist:innen halten entscheidende Details zurück, obwohl diese der Freundeskreis sicherlich aushalten könnte. Am Ende aber sind unsere Jugendlichen bereit, offener und vorbehaltloser miteinander umzugehen. Und das verbindet sie ganz neu. Wenn das von einer melancholischen Grundnote getragen wird, gefällt mir das gut. 

Wie stellt man als Produktion einer Geschichte über ein anonymes Internetvideo an einer Schule, in der eine Stimme ihren baldigen Suizid ankündigt, sicher, dass es kein Risiko fürs Publikum wird?

Roxana Richters: Zu unserer Genese: Der Geschäftsführer von Warner Bros. ITVP Germany, René Jamm, kannte die ZDF-Serie „Tod eines Schülers“. Diese wurde in den frühen 1980er-Jahren sehr kontrovers diskutiert, da sie unfreiwillig einen Nachahmungseffekt hervorrief. René wollte einen Film machen, der im Gegensatz dazu positive Beispiele aufzeigt und Menschen in Krisensituationen Lösungsansätze und Hoffnung geben kann. Dies war vor allem über die sehr enge Zusammenarbeit mit Fachberater:innen und Präventionsexpert:innen möglich, die den kompletten Produktionsprozess dieses Projekts begleiteten. Es sollte ein erzählerisch spannender Film sein, der gleichzeitig die Leitlinien der Fachberater:innen berücksichtigt. Unsere Schauspieler:innen bekamen dahingehend auch ein Coaching und neben dieser inhaltlichen und inszenatorischen Beratung waren unsere Fachberater:innen auch jederzeit für Cast und Crew ansprechbar. Bei der Forschungsperspektive arbeiteten wir mit einem der renommiertesten Professoren in der Suizidforschung und medialen Aufarbeitung dieser Themen der Universität Wien zusammen, Wir suchten auf der anderen Seite aber auch Praxiserfahrung mit Organisationen, die konkret Menschen in solchen Krisensituationen weiterhelfen.

Von uns wird es keiner sein
V.l.: Mina-Giselle Rüffer, Lukas von Horbatschewsky, Derya Akyol und Kosmas Schmidt in „Von uns wird es keiner sein“ (Credit: ZDF, WB, Chromosom Film)

Wie kam Ihre Zusammenarbeit auf produzentischer Seite zu Stande?    

Roxana Richters: Wir hatten früher schon bei den Serienprojekt „Zwei Seiten des Abgrunds“ zusammengearbeitet, und wollten sehr gerne an diese sehr gute Erfahrung gemeinsam anknüpfen. Bei der Chromosom Film arbeiten wir vor allem im Kinobereich. Oft haben unsere Filme einen sehr politischen und gesellschaftsrelevanten Ansatz, eine Dringlichkeit. Dazu passte „Von uns wird es keiner sein“ sehr gut. Mit dem Autor Lucas Flasch verbindet uns auch bereits eine längere Zusammenarbeit. Wirklich bereichernd waren die sich komplementierenden produzentischen Perspektiven bei diesem Projekt: Die Warner mit ihrem langjährigen TV-Erfahrungsschatz und unsere Kinokenntnisse.  

Bernd von Fehrn: Für bestimmte Projekte versuchen wir bei Warner Bros. ITVP immer wieder, mit ausgewählten, für die jeweilige Erzählung passenden externen Kolleg:innen zusammen zu arbeiten. Für unsere RTL+/HBO-Serie „Zwei Seiten des Abgrunds“ zum Beispiel schlug meine damalige Mitproduzentin Verena Monssen eine Kollegin aus Berlin vor, die sich für das Projekt sehr gut eignen würde, wenn wir sie denn „ausgeliehen“ kriegten. Das war dann Roxana von Chromosom-Film. Und tatsächlich erwies sich diese Kooperative als überaus angenehm, hoch professionell und menschlich einfach absolut passend. Daher lag es nahe, auch für „Von uns wird es keiner sein“ erneut zusammenzuarbeiten. Ich wollte Kolleg:innen für diese wichtigen Film an Bord wissen, die mit vollem Einsatz und der entsprechenden Leidenschaft und Sensibilität diese schwere Thematik bearbeiten. Und das ist mit der Doppelspitze Roxana und Alexander Wadouh (beide Produzenten bei Chromosom-Film) erneut bestens gelungen.  

Was genau schätzen Sie aneinander in der Zusammenarbeit?

Roxana Richters: Den Austausch. Das Gespräch mit Bernd über Stoffe, Besetzungen und Ideen ist unglaublich bereichernd und inspirierend. Ich habe immer das Gefühl, dort auf eine große Offenheit zu treffen und dass unsere sehr unterschiedlichen Perspektiven sich sehr gut komplementieren. Uns verbindet immer der Wunsch nach dem bestmöglichen Film, und es macht einfach wirklich viel Spaß, gemeinsam Projekte zum Leben zu erwecken.

Bernd von Fehrn: Mir gefällt, dass die Zusammenarbeit uneitel ist. In unserem Arbeitsumfeld hat man viel mit Eitelkeiten zu tun. Manchmal mag das gut sein, weil Eitelkeit durchaus ein kreativer Motor sein kann. Mehrheitlich bremst das aber ein gutes Miteinander. Das Schöne in der Kommunikation mit Roxana und Alexander war von Anbeginn an, dass uns nie Dünkel oder Befindlichkeiten im Wege standen – uns ging es immer nur um die bestmögliche filmische Ausgestaltung dieses Themas. Wenn wir unterschiedlicher Meinung waren, war das immer nur ein fachlicher, nie ein persönlicher Dissens. Ich komme thematisch ja mehr aus einem konventionelleren und kommerzielleren Umfeld, Roxana und Alex sind Arthouse-Expert:innen mit einem tiefen Gespür für sozialrelevante Themen – unsere Welten haben sich entsprechend optimal ergänzt.

„Es ist ein Geschenk, dass ZDF und Arte hier Ihren öffentlich-rechtlichen Auftrag sehr ernst nehmen.“

Bernd von Fehrn

„Zwei Seiten des Abgrunds“ konnte man damals im Industry-Bereich der Berlinale das erste Mal sehen. Mit der Premiere auf dem Filmfest Hamburg ist „Von uns wird es keiner sein“ noch näher am Kunstgewerbe dran.

Bernd von Fehrn: Es war einfach eine große Ehre, auf dem Filmfest Hamburg Premiere feiern zu dürfen. Der Film erfährt allein durch die Präsenz auf diesem besonderen Festival eine wunderbare Wertschätzung. Großartig ist es auch zu erleben, wie hands-on unsere ZDF- und Arte-Redakteur:innen diesen Film unterstützen, auch wenn er eben nicht der typische Montagabend-Unterhaltungsfilm ist. Sie standen und stehen wie eine Eins hinter uns. Auch wissend, dass man möglicherweise mit anderen Quoten rechnen muss als bei einem klassischen Krimi. Aber unser Film wird hoffentlich für viel Interesse und Gesprächsstoff sorgen. Es ist ein Geschenk, dass ZDF und Arte hier Ihren öffentlich-rechtlichen Auftrag sehr ernst nehmen und mit so viel Herzblut und Leidenschaft hinter „Von uns wird es keiner sein“ stehen. 

Das „Von uns wird es keiner sein“-Filmteam auf dem roten Teppich des Filmfests Hamburg mit Festivalchefin Malika Rabahallah (Credit: Michael Kottmeier/Filmfest Hamburg)

Eine große Stärke des Films ist das Zusammenspiel des jungen Ensemble-Cast, eine andere die sehr gut heraufbeschworenen Stimmungen und Atmosphären, die teils die Narrative noch überlagern. Welches Publikum hatten Sie für das Projekt vor Augen?

Bernd von Fehrn: Wir hatten durchaus den klaren Handlungsauftrag, den Montagabend zu bedienen. Und dieser Slot bedeutet, dass man grundsätzlich ein zwar sehr breites, aber etwas älteres Publikum bedienen und ansprechen muss, das mehrheitlich aus dem Crime-Genre kommt. Welches zwar durchaus am Montagabend auch große Dramen verträgt, sich dabei aber gern mit gesichtsbekannten, prominenten Namen auf die Erzählreise begibt. Da war es natürlich eine Herausforderung, dass wir mit sehr jungen Protagonist:innen am Start sind, die nun einmal das Herz der Geschichte darstellen und in deren Perspektive wir eintauchen wollten. Und somit haben wir im Laufe der Entwicklung auch verstärkt die Erwachsenenperspektive aufgegriffen. Die ursprünglich gar nicht so zentral angelegten Schlaglichter auf das Lehrer-Kollegium wie auch auf die Eltern der im Mittelpunkt stehenden Schüler:innen funktionieren jetzt im Zusammenspiel mit den Storylines unseres Jugendcasts ganz wunderbar. Es war also beides: Ein besonders großes Publikum anzusprechen, aber gleichzeitig ein jüngeres Publikum im Blick zu haben, das ansonsten nicht so sehr auf diesen Sendeplatz schaut. Gott sei Dank aber gibt es ja auch noch die Mediathek, in der hoffentlich auch viele Menschen diesen besonderen Film finden.

Ja, im Cast ist ein echter Spagat zu bemerken: Unter den Lehrern und Eltern befinden sich bekannte ZDF-Gesichter wie Mariele Millowitsch. Bei den Jüngeren ist zum Beispiel Mina-Giselle Rüffer prägend, die aus dem funk-Format „Druck“ oder der Horror-Serie „Was wir fürchten“ bekannt ist.

Roxana Richters: Tatsächlich sind auch einige Schauspieler dabei, die man gar nicht so kennt. Kosmas Schmidt zum Beispiel spielt hier seine erste Hauptrolle und hat uns alle umgehauen.

Bernd von Fehrn: Ja, Kosmas Schmidt ist fantastisch. Unsere Casting Directorin Liza Stutzky hat hier gemeinsam mit Regiseur Simon Ostermann ein fantastisches Ensemble zusammen gestellt. Und in der Tat haben wir sehr viel darüber diskutiert, wie wir uns im Ensemble aufstellen: Können und wollen wir auch da überraschen? Und was heißt überraschen? Und wie unkonventionell können wir sein? Aber das Ergebnis macht mich echt stolz. Liza hat nicht nur einen fulminanten Jugendcast gefunden, sie hat da bis ins kleinste Detail mit sehr viel Liebe und Empathie besetzt. Eine Mariele Millowitsch hat man in dieser Rollenform noch nicht so oft gesehen. Sabin Tambrea berührt mich in jeder Szene. Und ich finde es toll, dass wir Kolleg:innen wie Anna Schudt, Christina Hecke, Tom Keune und viele andere im Cast haben, die das Projekt unterstützen und mit ihrer Präsenz geradezu veredeln. Sie haben nur kleine, aber ganz bedeutsame Rollen, weil sie immer eine gewisse Haltung und Hoffnung liefern. Es ist wie ein kleines Kaleidoskop von Gefühlen, die sich um das Grundnarrativ ranken. 

Anfang September wurde Ihr Wechsel, Herr von Fehrn, von Warner zu Network Movie bekannt gegeben. Sie waren jetzt diverse Jahre eines der Gesichter von Warner Bros. ITVP Germany. Was waren die Beweggründe für diesen Schritt?

Bernd von Fehrn: Bei Warner konnte ich die bislang profilprägendsten Jahre meiner Karriere erleben, die sehr stark auf Teamspirit und dem Miteinander fußten. Mein Chef René Jamm hatte wie schon gesagt auch die Idee für dieses Projekt, über das wir hier jetzt sprechen. Und hat uns für diese Entwicklung jederzeit den Rücken freigehalten, weil er so an diesen Film glaubte! Über fast 15 Jahre habe ich mich bei WB und in Köln sehr wohlgefühlt. Und so ist meine Entscheidung auch keine gegen diese Zeit, sondern für etwas Neues. Ich schielte aus vielen Gründen in letzter Zeit verstärkt nach Hamburg, weil ich aus dem Norden komme und auf lange Sicht auch dort immer wieder hinwollte. Dann gab es dieses Angebot, mit dem sich für mich ganz viel fügte. Ich bleibe in einem vertrauten Arbeitskosmos, kann aber gleichzeitig auch nach Hamburg gehen. Es ist vor allem beruflich nochmal eine neue Herausforderung, die ich so noch nicht habe eingehen können. Wenn ich noch eine so bedeutsame Chance ergreifen darf, war mein Gedanke, dann muss das diese sein.

Was werden Ihre jeweiligen nächsten Projekte sein?

Bernd von Fehrn: Mein nächstes Projekt ist ganz klar Hamburg, wo ich ab dem 15. November die geschäftsführenden Geschicke bei der Network Movie übernehmen darf. Eine große Herausforderung, aber zugleich eine superspannende Aufgabe. Dennoch fällt mir der Abschied bei Warner nicht leicht, zumal auch hier gerade aufregende Dinge anstehen: Am 9. Oktober läuft der ARD-Fernsehfilm „Aus dem Leben“, den ich im vergangenen Jahr mit meiner Kollegin Dagmar Konsalik produzieren durfte. „Von uns wird es keiner sein“ kommt hoffentlich bald auch heraus. Bei RTL konnte ich gemeinsam mit meinen produzentischen Kolleg:innen Melissa Graj und Mark Werner die neue Krimi-Reihe „Alpentod“ an den Start bringen, die gerade gedreht wird. Und ein von mir mitangeschobenes Streaming-Projekt hatte ebenso gerade Drehstart. Ich gehe also an einem Punkt, bei dem ich denke, dass es ein sauberer Cut ist, und meiner Nachfolge ein stabiles Slate vorgelegt werden kann.

Roxana Richters: Bei mir sind gerade viele Projekte fertiggeworden. Beim TIFF in Kanada lief unser Dokumentarfilm „The Wolves Always Come at Night”, eine Koproduktion mit der Mongolei und Australien. Über eine andere baldige Weltpremiere auf einem Festival darf ich noch nichts sagen. Ansonsten mache ich gerade mehrere aufwendigere Koproduktionen ebenso im Kinobereich, zum Beispiel ein Musical-Projekt von der Regisseurin Sara Summa, das mit Kanada und Frankreich koproduziert wird.

Das Interview führte Michael Müller