Login

REVIEW FILMFEST HAMBURG: „Black Dog“

Herausragende Cannes-Entdeckung über einen jungen Mann, der nach einer Gefängnisstrafe in seine Heimatstadt zurückkehrt und dort zögerlich des Vertrauen eines angeblich tollwütigen schwarzen Hunds gewinnt. 

CREDITS:
O-Titel: Gou zhen; Land / Jahr: China 2024; Laufzeit: 116 Minuten; Regie: Guan Hu; Drehbuch: Guan Hu, Rui Ge; Besetzung: Eddie Peng, Liya Tong; Verleih: Filmwelt; Start: 5. Dezember 2024

REVIEW:
Zuletzt war Guan Hu in China mehr so der Mann für die großen Dinger. „The 800“ und „The Sacrifice“, Blockbuster, patriotische Durchhaltefilme, viel Blut, viel Boden, viel bang for your buck. „Black Dog“ jetzt einen Gegenentwurf zu nennen, ist eine freundliche Untertreibung. Seinem Vater gewidmet, ist dieser Film voller Sehnsucht und Wehmut und Aufbruchsstimmung inmitten vollkommener Stasis eine Zurückeroberung der eigenen kreativen Hoheit, eine künstlerische Absichtserklärung, die Hu als Solitär im heimischen Kinobetrieb ausweist, ihn selbstbewusst den Zwischenraum zwischen bilderbesoffenem Mainstream und vertracktem Kunstkino ausfüllen lässt, wie ein – Achtung, steile These! – chinesischer Wim Wenders: Auch Hu greift auf die Tropen des amerikanischen Kinos zurück, hüllt sich in die rebellische Pose des Rockfans, um eine ganz eigene Idee von Film zu formulieren. Das macht er so gut, dass man in Cannes nicht nur über „Black Dog“ redete („Musst du unbedingt noch anschauen, wenn du’s schaffst“), sondern der Film dann auch den Hauptpreis der Nebenreihe Un Certain Regard gewinnen konnte. 

„Black Dog“ von Guan Hu (Credit: Filmwelt)

Es ist ein Film, der einem den Glauben an die Wirkkraft des Kinos wiedergeben kann, einer er wenigen Produktionen in diesem Jahr, bei der man immer wieder stutzt und sich wundert und fragt, wie zum Teufel sie das denn gemacht haben. Ein Paradebeispiel ist die erste Szene. Die Kamera von Weizhe Gao, der für Hu schon bei „The Sacrifice“ die Bildgestaltung übernommen, fängt von einer Anhöhe aus die Weite der Wüste Gobi ein, aus der Entfernung sieht man einen Kleinbus seinen Weg durch die unwirtliche, karge Landschaft pflügen. Unvermittelt stürmen hunderte streunende Hunde den Hügel hinab auf den Bus zu, der immer noch ziemlich weit entfernt ins Schlingern gerät und umstürzt. Alles in einer Einstellung. Samuel Fuller wäre stolz: Ein Film muss mit einer Explosion beginnen und sich dann langsam steigern. 

An Bord des Busses befindet sich Lang, der Held der Geschichte, von Eddie Peng – what a name! – mit der Ungerührtheit eines Clint Eastwood gespielt, mit wenigen Worten und noch minimalerer Mimik. Und doch so ausdrucksstark und überzeugend, dass man immer zu wissen glaubt, was in dem jungen Mann vor sich geht, der nach Hause zurückkehrt nach zehn Jahren im Gefängnis, die ihn alles gekostet haben und, wie es aussieht, auch seine Heimatstadt, ein Provinzkaff, das sich wie das ganze Land für die bevorstehenden Olympischen Sommerspiele in Peking herausputzen soll. Was ein absurdes Ansinnen ist: Wen soll es schon interessieren, ob in dieser chinesischen Gemeinde ein Fahrrad umfällt, die fast menschenleer und heruntergewirtschaftet ist und von herrenlosen Hunden überlaufen wird. 

„Black Dog“ von Guan Hu (Credit: Filmwelt)

In besseren Zeiten war Lang hier bekannt wie ein, naja, bunter Hund, er war der Star einer Motorradstuntshow und spielte Gitarre in einer Rockband, bis er Schuld trug am Tod des Neffen des ansässigen Chefgangsters. Jetzt erinnert nur noch ein Filmposter von „The Wall“ in seinem Zimmer an die alten Zeiten, das Motiv mit der Hauptfigur an gequälte Kreatur. Wenn im Verlauf des Films „Hey You“ und „Mother“ aus besagtem Album von Pink Floyd anklingen und sich verbinden mit dem Staub und Sand und den Steinen und Baracken und müden Gesichtern der Menschen, dann hört man Geistermusik, ein Abgesang auf ein China des Fortschritts und gesellschaftlichen Blüte. Auf einer Anhöhe ist der Zoo, einstmals Aushängeschuld der Stadt, nun weitgehend verlassen bis auf Langs gebrochenen Vater, der dem Tiger in seinem winzigen Käfig jeden Tag Hafergrütze füttert. Hier will Lang zur Ruhe kommen, Abbitte leisten, wieder zu sich finden. Er schließt sich einem Trupp von Hundefängern an, der die Stadt von den Streunern befreien soll, und bekommt es mit einem sagenumwobenen dünnen, schwarzen Köter zu tun, der angeblich tollwütig sein soll und sich nicht fangen lässt. 

Man muss nicht die komplette Filmgeschichte rauf und runter beten können, um zu ahnen, dass sich diese beiden Außenseiter annähern, Freunde werden. Aber wie Guan Hu das macht, wie er mit Auslassungen erzählt und ganz ruhigen Einstellungen, ohne Musik, sieht man von den Floyd-Songs ab, zurückgelehnt und bisweilen fast lakonisch, mit ganz großen Bildern und Liebe zu seinen Figuren, die ihn indes nicht sentimental werden lässt, das ist Kino in seiner pursten Essenz, erzählt fast komplett in seinen eindringlichen Bildern, als würde er dem Gerede der Menschen nicht trauen. Nur was man sieht, ist echt, in dieser Landschaft, die an die Mondoberfläche ist und ein bitterer politischer Abgesang ist auf ein gescheitertes China der Gegenwart. Dass Filmemacher Jia Zhangke, zuverlässiger und begnadeter Chronist des wirtschaftlichen Niedergangs in den ruralen Gegenden, auf ein Cameo reinschaut, mag das zusätzlich unterstreichen. 

„Gut erhobenen Hauptes durchs Leben. Durch Wind und Wetter. Wohin fahren wir. Immer weiter. Immer geradeaus.“ Dieser Sinnspruch klingt zweimal an. Er ist wohl auf das Land gemünzt und seine Gesellschaft, trifft hier aber am Ende nur auf den Helden der Geschichte zu, Lang, der der eigentliche „schwarze Hund“ des Titels ist und nach einer großen Sonnenfinsternis sein Schicksal in eigene Hände nimmt, auf seinem Motorrad davon braust, aber nicht allein. „Was diesen Welpen wohl passieren wird“, fragt der beste Freund Langs kurz davor mit einem Blick auf einen frischgeborenen Wurf. „Hoffentlich werden sie es besser haben als ihr Vater.“ Der Film stellt diese Frage ganz direkt an den Zuschauer, während draußen die Häuser abgerissen werden, die Stadt plattgemacht werden soll. „Mother, should I trust the government / Mother, will they put me in the firing line / Ooh, is it just a waste of time.”

Thomas Schultze