Login

Human Rights Film Festival Berlin: „Verständnis und Empathie schaffen“

Das Human Rights Film Festival Berlin startet am 4. Oktober. Das Leitungsduo Lydia Spiesberger und Jan Sebastian Friedrich-Rust geben Auskunft über das diesjährige Programm, Schwerpunkte sowie die allgemeine Entwicklung und den großen Zuspruch ihrer Veranstaltung. 

Lydia Spiesberger und Jan Jan Sebastian Friedrich-Rust (Credit: Blurryxwine)

25 Dokumentarfilme zu den Themen Demokratie, Menschenrechte und Pressefreiheit stehen im Programm des diesjährigen Human Rights Film Festival. Wie gestaltete sich der Kuratierungsprozess? 

Lydia Spiesberger: Das ist ein gemeinschaftlicher Prozess, bei dem wir uns eng untereinander abstimmen. Gemeinsam mit einem großartigen Team haben wir über Monate hinweg zahlreiche Filme gesichtet. Mit Sirkka Möller haben wir eine international renommierte Kuratorin an Bord, die unter anderem für das DOK.fest München und das Sheffield DocFest gearbeitet hat. Catriona Fadke trägt durch ihre Erfahrung beim Kasseler Dokfest und achtung berlin zur Vielfalt der Themen bei. Zusammen mit Jan, der die strategische Ausrichtung des Festivals verantwortet, und mir, die sich um die operative Steuerung kümmert, haben wir über jeden Film diskutiert, um zu diesem Ergebnis zu kommen.

Jan Sebastian Friedrich-Rust: Uns als einem der größten europäischen Menschenrechtsfilmfestivals sind natürlich die drängendsten Themen unserer Zeit ein besonderes Anliegen. Mit unserem Programm möchten wir auf Missstände hinweisen, aber auch Impulse für eine bessere Welt geben. Entscheidend für unsere Auswahl ist dabei immer die filmische Qualität.

Die Auswahl fällt sicher eher schwer als leicht. Sie zeigen Filme aus aller Welt, die den Finger in die Wunde legen, die globale Krisen und Menschenrechtsverletzungen aufs Tableau bringen. Gibt es Länder, die auffallen? Die besonders starke Filme hervorbringen?

Lydia Spiesberger: Uns ist es wichtig, verschiedene Blickwinkel zu zeigen. Dafür brauchen wir eine breite Vielfalt an Themen, filmischen Formen und regionalen Perspektiven. Das spiegelt sich auch in unserem Programm wider und wir sind froh, dass wir aus so vielen Teilen der Welt starke Beiträge in unserem Festival zeigen können. Gleichzeitig richten wir in diesem Jahr ein besonderes Augenmerk auf die Herausforderungen vor unserer eigenen Haustür. Denn Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit sind leider auch in Europa keine Selbstverständlichkeit mehr.

Jan Sebastian Friedrich-Rust: Unser Eröffnungsfilm „Democracy Noir von Emmy-Preisträgerin Connie Field am 4. Oktober zeigt am Beispiel Ungarns, wie autoritäre Kräfte demokratische Institutionen zielgerichtet aushöhlen. Und am 5. Oktober präsentieren wir ein besonderes Highlight: Im Anschluss an die Kinopremiere von „Guardians of Truth: Julian Assange and the Dark Secrets of War” sprechen wir mit Betroffenen der „Collateral Murder” Luftangriffe im Irak sowie unserem Schirmherr Can Dündar und WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson über Schuld und Versöhnung und die Gratwanderung zwischen Pressefreiheit und politischen Interessen.

Eröffnungsfilm: „Democracy Noir“ von Emmy-Preisträgerin Connie Field (Credit: Clarity Films and Real Lava)

Der Leitfaden des Festivals ist Humanität. Was waren die Beweggründe dafür?

Lydia Spiesberger: Wir stehen derzeit vor großen Herausforderungen, sowohl global als auch in Deutschland und Europa. Die Demokratie, unsere Presse- und Meinungsfreiheit sind in Gefahr und wir haben weiterhin viele soziale Ungerechtigkeiten, Konflikte und Kriege. Aber gleichzeitig gibt es viele Menschen auf der Welt, die sich bewusst für Menschlichkeit und eine bessere Zukunft einsetzen. Mit unserem Festival rücken wir diese Geschichten in den Mittelpunkt und laden gleichzeitig das Publikum ein, Teil dieser Veränderung zu werden. Unser Ziel ist es, all diese engagierten Menschen an einem Ort zusammenzubringen, einen Raum des Austauschs und der Inspiration zu schaffen, in dem wir zuhören und voneinander lernen – um dann mit neuen Ideen und neuem Mut weiter für eine gerechtere Welt zu kämpfen. Daher haben wir uns in diesem Jahr für „Choosing Humanity“ als unser Leitmotiv entschieden.

Das Festival wird veranstaltet von Aktion gegen Hunger in Partnerschaft mit Reporter ohne Grenzen. Inwiefern hat sich das Festival seit seiner Gründung 2018 weiterentwickelt? Ist der Stellenwert gewachsen innerhalb der ausrichtenden Organisation?

Jan Sebastian Friedrich-Rust: Wir sind seit unserer Gründung stetig gewachsen hin zu einem etablierten Festival mit internationaler Ausrichtung. Das Festival wird von der humanitären und entwicklungspolitischen Organisation Aktion gegen den Hunger ausgerichtet. Es hat innerhalb der Organisation einen enorm hohen Stellenwert. Denn Menschenrechtsverletzungen sind einer der strukturellen Gründe für den weltweiten Hunger. Gleichzeitig sind Filme ein besonders wirksames Medium, um wirkliches Verstehen zu ermöglichen. Es ist etwas ganz anderes, in der Zeitung die Zahl der neuangekommenen Geflüchteten zu lesen, oder deren Schicksal nahe mitzuverfolgen. Ersteres schafft oft Überforderung, während insbesondere Dokumentarfilme Emotionen und Neugierde wecken und Verständnis schaffen können. 

Lydia Spiesberger: Zu diesem Anspruch gehört auch, dass wir mit unserem Rahmenprogramm, wie den Human Rights Talks einen besonderen Fokus setzen. Und auch in der Festival- und NGO-Szene haben wir zunehmend an Bedeutung gewonnen. Wir freuen uns sehr, wieder mit den großen etablierten NGOs zusammenzuarbeiten. Mit Reporter ohne Grenzen als unseren Hauptpartner rücken wir in diesem Jahr das Thema Demokratie und Pressefreiheit ins Zentrum und stellen gleichzeitig den Impact in den Mittelpunkt des Festivals.

Ebenfalls im Oktober startet ein neues Filmfestival, das für viele Irritationen gesorgt hat. Was ist passiert? 

Jan Sebastian Friedrich-Rust: Selbstverständlich begrüßen wir die Vielfalt der Berliner Filmfestivals. Die gemeinsamen Ziele – der Einsatz für Menschenrechte und wirkungsvollen Dokumentarfilm – und die begrenzten Mittel in Berlin sollten jedoch vielmehr eine Bündelung aller vorhandenen Kräfte nach sich ziehen. Daher ist es für uns nicht nachvollziehbar, dass eine neue Initiative mit ähnlichem Fokus im gleichen Zeitraum gegründet wurde, die die Umlagerung von wichtigen Fördergeldern vom Medienboard zur Folge hat – zumal dies alles von unserer ehemaligen Festivalleiterin initiiert wurde. Gleichzeitig sind all unsere langjährigen Partner weiter an unserer Seite. Wir arbeiten wieder mit erfahrenen NGO-Partnern, wie Reporter ohne Grenzen und Sea-Watch zusammen und haben inspirierende Speaker und Gäste an Board: WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson, Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer, MdB Renate Künast und Autorin und Journalistin Düzen Tekkal sind nur einige von vielen, die mit ihrer Expertise unser Festival bereichern. Darüber hinaus kommen auch viele der vielfach ausgezeichneten Filmemacher:innen und Protagonist:innen nach Berlin. Wir freuen uns, in dieser wundervollen Gemeinschaft weiter für eine gerechtere Zukunft zu kämpfen und hoffen, im kommenden Jahr wieder gemeinsam mit dem Land Berlin diese Synergien weiter ausbauen können.

„Guardians of Truth: Julian Assange and the Dark Secrets of War” (Credit: Human Rights Film Festival Berlin)

Die wenigsten der Filme des Festivals erleben einen regulären Kinostart. Welchen Impact kann ein Festival wie das Human Rights Film Festival für die Gesellschaft haben?

Lydia Spiesberger: Mit Filmen haben wir die Möglichkeit, Zugänge zu schaffen, Menschen zu erreichen und zu bewegen. In unseren Filmgesprächen bieten wir die Gelegenheit, das Gesehene in Kontext zu setzen und mit unseren Gästen in den Austausch zu gehen. In unserem zusätzlichen Schulprogramm beispielsweise zeigen wir jüngeren Zuschauer*innen Filme zu aktuellen weltpolitischen Themen und diskutieren dazu in anschließenden Gesprächen mit Filmschaffenden oder unserer ehemaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth.

Jan Sebastian Friedrich-Rust: Mit Human Rights Action haben wir außerdem ein neues Format geschaffen: Nach jedem Screening stellen wir Möglichkeiten vor, wie man sich aktiv für die im Film behandelnden Themen und die Menschenrechte einbringen und nachhaltige Veränderung bewirken kann. Mit dem Human Rights Film Festival Berlin wollen wir genau das erreichen: Verständnis und Empathie schaffen, miteinander in den Austausch kommen und einen gemeinsam kleinen und großen Impact für die Welt da draußen erzeugen. Am 4. Oktober geht es los – wir freuen uns sehr darauf!

Die Fragen stellte Barbara Schuster

Human Rights Film Festival Berlin