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5. Explorer Konferenz: Weltall und Safe Space

Die Explorer Konferenz, erstmals kuratiert von Linda Dudacy, findet in diesem Jahr unter dem Motto „Risk & Reward“ statt. Der Vormittag war bereits prall gefüllt mit Ideen und Visionen, wie man eine moderne Filmbranche voranbringen kann. 

Malika Rabahallah mit Helge Albers und Fabian Massah bei der Explorer Konferenz 2024 (Credit: SPOT)

KEYNOTE: „The Astronaut“

Zur Einstimmung der 5. Explorer Konferenz im Rahmen des 32. Filmfest Hamburg gab es eine ungewöhnliche Keynote, die unterstrich, was „thinking outside the box“ bedeuten kann: Unter dem Titel „The Astronaut: Everyday Life Between Earth and Atmosphere“ sprach Dr. Insa Thiele Eich, Astronautin, Meteorologin, Klimawissenschaftlerin, über ihren Lebensweg und ihre Erfahrungen als Wissenschaftlerin. Sie ging insbesondere darauf ein, was sie auf ihrem Weg über den Umgang mit Risiken gelernt hat. Und dass es womöglich einen Weg geht, diese Erfahrungen auch in der Filmproduktion anzuwenden. 

Die Explorer-Konferenz findet am 30. September im Rahmen des Filmfest Hamburg statt (Credit: Explorer Konferenz)

Nostradamus Report

Im Anschluss wurde Johanna Koljonen zugeschaltet, die für das Goteborg Film Festival den jährlichen Nostradamus Report erstellt. Im Mai hat sie auf dem Festival de Cannes die neueste Ausgabe vorgestellt, „Paradox of Hope“ (hier ist der Link zum Download). Dafür sprach sie wieder mit zwölf Experten aus der Industrie, unter ihnen der legendäre Produzent Ted Hope, die ehemalige Sundance-Chefin Tabitha Jacksonund Robert Franke von ZDF Studios. Koljonens Slot war beschränkt auf 15 Minuten, war aber voller nützlicher und radikaler Informationen, was passieren muss, um die unabhängige Filmindustrie auch in der Zukunft eine lebendige Landschaft sein zu lassen

Koljonen begann mit einem wenig ermutigenden Statement: Everything is broken. Dass es dennoch Hoffnung gibt, mag paradox erscheinen angesichts von Marktschrumpfung, Inflation und Rezession, die die Branche vor Herausforderungen stellen. Aber wenn man diese Probleme als Herausforderungen und vielleicht auch als Chance begreift, wird es möglich sein, auch neue Geschäfts- und Finanzierungsmodelle sowie Produktionsmethoden entstehen zu lassen. Zusammenarbeit wird laut Koljonen eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Innovationen und der Entwicklung nachhaltiger Lösungen spielen, insbesondere da traditionelle Vertriebsstrategien vor gewaltigen Herausforderungen stehen. Kinos prägen weiterhin die Zukunft des Mediums Spielfilm, während künstliche Intelligenz die Produktion und das Geschichtenerzählen schnell neu definiert. Der aktuelle Nostradamus Report betont die Bedeutung der Förderung starker künstlerischer Stimmen – nicht zuletzt, um jüngere Zielgruppen zu fesseln – und setzt sich gleichzeitig für einen menschenzentrierten Ansatz in einer Branche ein, die unter dem Druck synthetischer Medien und künstlicher Nachfrage steht.

Damit Filme funktionieren können, müssen sie nicht nur besonders sein, sondern etwas leisten, was Koljonen „engagement theatrical“ nennt, ein von ihr erfundener Ausdruck. Der Film muss einen persönlich so sehr ansprechen, dass man gar nicht anders kann, als ihn im Kino sehen zu wollen. Die Zeiten, in denen man einfach so ins Kino geht, seien vorbei: Die Menschen gehen nur noch zu besonderen Anlässen ins Kino – und müssen dann auch eine besondere Erfahrung haben. Koljonen sieht Arthouse in unserer Zeit als nutzlose Kategorie, die gerade jungen Leuten nichts sagt: Es gebe keine Gemeinsamkeiten zwischen „Everything Everywhere All at Once“ und „The Zone of Interest“, beides große Arthouse-Hits, außer die jeweils sehr spezifische Vision ihrer Macher. Grundsätzlich sagt sie, dass man neue Wege gehen muss und dass man sie gemeinsam gehen muss: It is not enough to make the work. Do the work!

Die Filmemacher Lamin Leroy Gibba und Ali Hakim mit Moderatorin Milena Fessmann auf der 4. Explorer Konferenz (Credit: SPOT)

Spotlight: Best Practices in the Film Industry

Schauspieler, Drehbuchautor und Produzent Lamin Leroy Gibba und Produzent Ali Hakim von Hakim + König unterhielten sich über Hamburgs Film- und Fernsehszene, deren Potenzial in Sachen Kreativität, die über die Grenzen strahlt und vor allem neue Stimmen, neue Perspektiven eine Chance gibt.

Hamburg zählt zu den führenden Produktionsstandorten in Deutschland und ist vor allem dank der MOIN Filmförderung ein Ort, an dem Innovation, Diversität und neue Stimmen ein Zuhause haben und finden. Hier arbeitet Ali Hakim, der 2024 mit Max König die unabhängige Produktionsfirma Hakim + König in der Hansestadt gründete. Er erzählte über den steinigen Weg, den er gehen musste und immer noch geht: „Ich bin seit 18 Jahren in der Branche tätig. Filmproduktion ist hart und bleibt herausfordernd. Vor allem dieses Jahr war extrem hart. Es fühlt sich oft an, als befindet man sich im freien Fall. Man entwickelt und entwickelt, es geht mal vor, dann wieder zurück. Aber ich denke, der Struggle wäre an einem anderen Standort in Deutschland noch größer. Denn die Hamburger Filmindustrie ist kleiner als die in Berlin zum Beispiel. Wir kennen uns hier alle, helfen uns gegenseitig. Es ist ein guter Zusammenhalt. Aber trotzdem: Der Kampf um seine Projekte ist trotzdem da.“ Neidisch blickt er nach Österreich, wo seit Anfang 2023 ein Anreizmodell implementiert wurde, dass allen Produzent:innen hilft: „Ich war unlängst auf einer Konferenz in Berlin, wo österreichische Branchenvertreter:innen davon berichteten. Und ich kann euch sagen: Die hatten alle ein Grinsen im Gesicht, weil es gar so gut läuft!“

Mit seinem ersten Projekt ist Lamin Leroy Gibba voll durchgestartet: Seine Serie „Schwarze Früchte“ feierte auf dem Tribeca Film Festival Weltpremiere, positive Resonanz fliegen ihm seither von allen Seiten zu. Man fragt sich, warum man Projekte wie „Schwarze Früchte“ nicht öfter sieht in der deutschen Film- und Fernsehlandschaft. Lamin Leroy Gibba fühlt sich sehr verbunden mit Hamburg und der MOIN Filmförderung. „Sie haben uns toll unterstützt, sie waren offen, Stimmen wie meine zu empowern. Da ist die MOIN echt stark, da können sich andere Förderungen eine Scheibe abschneiden. Es ist wichtig, diverse Perspektiven und Stimmen zu fördern, auf den Screen, ins Kino zu bekommen.“ 

Gibba hatte bei „Schwarze Früchte“ nicht nur in MOIN einen starken Partner, sondern auch in Jünglinge Film & Studio Zentral und natürlich der ARD Degeto, in deren Auftrag sie schließlich entstand. „Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Sender, Verleiher und Produktionen auf diesen Zug aufspringen und sich stark machen für eine vielperspektivische Sicht, noch mehr darauf achten, Programme herzustellen, die die Gesellschaft wirklich so abbildet, wie sie heute ist und nicht nur aus Bequemlichkeit dabei bleibt, immer und immer wieder dasselbe zu machen.“ Man darf das Publikum nicht unterschätzen und muss als Kreativer auch Risiken eingehen, sonst weiß man es nicht. „,Schwarze Früchte‘ entstand, weil ich in Deutschland einfach zu wenig sah, das meine Perspektive widerspiegelte“, so Gibba. „Deshalb musste ich es selbst tun. Und glücklicherweise habe ich die richtigen Verbündeten gefunden.“ 

Sowohl Ali Hakim als auch Gibba plädierten dafür, dass sich bestehende Strukturen aufbrechen: „Diverse Perspektiven müssen auch in der Reform der Filmförderung berücksichtig werden. Wenn wir die Branche als Pyramide sehen, müssen wir oben anfangen, Änderungen herbeizuführen: An der Spitze, dort, wo die Förderungen, TV-Sender und Verleiher sitzen. Da muss mehr Diversität reingebracht werden. Erst wenn sich da etwas bewegt, können wir profitieren. Denn bei uns, die wir ,unten‘ sind, ist die Welt bereits divers. Mir muss man das nicht sagen wie man diverse Perspektiven erzählt.“ Lamin Leroy Gibba sagte zum Schluss, dass er hoffe, auch Vorbild sein zu können und andere Filmschaffende dazu ermutigen, ihre Geschichten zu erzählen, flankiert von mehr mutigen Produktionsfirmen, Sendern und Förderer, die eben diese unterstützen. „Wir haben die Ressourcen, die Leute. Man muss sie nur erzählen lassen, ihnen Vertrauen schenken!“

Film Family

Maritza Grass, Produzentin von Carousel Film, und Lotte Ruf, Produzentin von Goldstoff Filme, referierten im Anschluss unter dem Motto „Film Family“ darüber, wie es möglich sein kann, Filmproduktionen unter besseren Bedingungen für junge Eltern umzusetzen. Dafür haben sie einen Leitfaden für Produzent:innen von Film- und Fernsehproduktionen erarbeitet, der sie dabei unterstützen soll, die Dreharbeiten familienfreundlicher zu gestalten. Darin werden verschiedene Arbeitszeitmodelle betrachtet, die mehr Vereinbarkeit ermöglichen, Ratschläge zur Kinderbetreuung am Set gegeben, sowie Möglichkeiten aufgezeigt, wie Eltern ein Wiedereinstieg nach der Familienzeit erleichtert werden kann. Alle Punkte seien Vorschläge und sollten unbedingt mit den jeweiligen Teams besprochen und abgestimmt werden. 

Die beiden rufen andere Produzenten generell dazu auf, bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Sie haben dabei diverse Themenpunkte isoliert: Die Vier-Tage-Woche ist eine Möglichkeit, den Druck auf Eltern zu vermindern. Jobsharing ist ein weiterer Ansatz für Erleichterung. In der Vor- und Postproduktion kann man Eltern entgegenkommen, indem man ihnen Home-Office ermöglicht. Bei der Produktion könnte es Möglichkeiten geben, kleine Kinder am Set erlauben, in dem man auch für Crewmitglieder, die Eltern sind, Kinderbetreuung anbietet. Und schließlich kann auch Awareness-Management zu besseren Bedingungen beitragen. Grundsätzlich gilt: Offene und transparente Kommunikation ist am besten: Viele Probleme können auf diese Weise mühelos ausgeräumt werden. 

Aus Hamburg berichten Barbara Schuster und Thomas Schultze.