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REVIEW KINO: „Deadpool & Wolverine“

Dritter Teil der „Deadpool“-Standalone-Filme, in dem der Marvel-Antiheld gemeinsame Sache mit dem in Ungnade gefallenen X-Man Wolverine machen muss, um sein kleines Universum vor der Auslöschung zu retten.

CREDITS: 
Land / Jahr: USA 2024; Laufzeit: 122 Minuten; Regie: Shawn Levy; Drehbuch: Rhett Reese, Ryan Reynolds, Shawn Levy; Besetzung: Ryan Reynolds, Hugh Jackman, Emma Corrin, Morena Baccarin, Rob Delaney, Matthew Macfadyen; Verleih: Disney; Start: 24. Juli 2024

REVIEW:
Wenn man die Pressevorführung eines Films verlässt, wird man im Foyer des Kinos von Vertreter:innen der jeweiligen Presseagenturen oder Verleiher in Empfang genommen, die erste Reaktionen abfragen, um sofort die generelle Tendenz (Flop oder topp!) und einzelne Zitate an das Office melden zu können. Es ist nicht immer ganz einfach, sofort die richtigen Worte zu finden. Als ich heute nach dem Screening von „Deadpool & Wolverine“ nach meiner Meinung gefragt wurde, fiel mir folgende Antwort ein: „Was die Menschen sich wünschen und erhoffen von dem Film, wird für sie in Erfüllung gehen.“ Wozu ich stehe: Wenige Films in diesem Kinosommer / Kinojahr werden so heiß ersehnt, wie der dritte Film aus der Marvel-Standalone-Reihe. Die ersten beide Teile, seinerzeit noch unter der Ägide von 20th Century Fox als respektlose Gegenentwürfe zu den braven „X-Men“-Filmen mehr oder minder unter der Kreativleitung von Ryan Reynolds entstanden, „Deadpool“ von 2016 (2,7 Mio. Tickets in Deutschland) und „Deadpool 2“ von 2018 (2,25 Mio. Tickets in Deutschland), genießen von Anbeginn Kultstatus mit ihrer Mischung aus überdrehter Ultragewalt und selbstironischen Kommentaren, die das Publikum in eine Form von wissender Komplizenschaft einbeziehen.

„Deadpool & Wolverine“ (Credit: © 2024 20th Century Studios / © and ™ 2024 MARVEL)

Wer einen dritten Teil macht, sollte tunlichst darauf achten, tonal auf Spur zu bleiben, einen echten „Deadpool“ zu machen. Ryan Reynolds hat das beherzigt zusammen mit seinem erklärten neuen Lieblingsregisseur Shawn Levy, der nach „Free Guy“ und „The Adam Project“ seinen dritten Spielfilm in Folge mit dem Schauspieler macht. Dass der Film indes nur die Erfüllung eines Begehrens ist, eine Handreichung, reiner Fanservice, ist dann eben doch nur die halbe Wahrheit. Weil man „Deadpool & Wolverine“, während sein Motor so souverän schnurrt, auch als Ringen um die Seele des Superhelden betrachten kann. Der intrinsische Nihilismus der Reynolds-Figur der ersten beide Filme, inszeniert zunächst von Tim Miller, dann von David Leitch, versus den intrinsischen Humanismus von Regisseur Levy, ein Mainstream-Filmemacher aus Überzeugung, der an die Kraft der Erlösung seiner Hauptfiguren glaubt. Dass er außerdem ein gutes Auge hat, ein Verständnis dafür mitbringt, was die Wirkung sauberer Kompositionen und starker Bilder angeht, sorgt dafür, dass nach dem visuellen Einerlei der letzten paar Filme aus dem MCU endlich wieder ein Marvel-Film auch wie ein Kinofilm aussieht.

Dass man als Zuschauer auch eine emotional erfüllende Reise antreten wird, auf deren Verlauf ihre beiden gefallenen Helden die Chance erhalten werden, sich zu beweisen, vergangene Verfehlungen wieder gutzumachen, ahnt man gewiss nicht beim standesgemäßen Einstieg, dessen verschiedene Metaebenen bestenfalls eingefleischte Marvel-Fans oder Abonnenten des Hollywood Reporter durchdringen werden. Aber gerade dieser rauschartige Stream-of-Consciousness an Wortwitzen, eindeutigen Anspielungen, zahllosen Referenzen an (für die meisten Leute) abwegige Sexualpraktiken und Insider-Jokes über die Filmindustrie im Allgemeinen und den gegenwärtigen Zustand des MCU im Besonderen macht den ureigenen Reiz des Franchise aus das tief blicken lässt in Ryan Reynolds Verstand. Wäre er ein Pixar-Film, würde Wut Überstunden machen, hätte Ekel alle Hände voll zu tun und Freude würde vor allem dann strahlen, wenn wieder einer der assoziativen Gags ins Schwarze trifft. Also oft. Ich zumindest musste viel schmunzeln und hin und wieder schallend laut lachen. 

Hugh Jackman als Wolverine/Logan in „Deadpool & Wolverine“ (Credit: Jay Maidment. © 2024 20th Century Studios / © and ™ 2024 MARVEL)

Da sind wir also am Anfang des Films, an dem Deadpool damit beschäftigt ist, in „Downtown North Dakota“ die Leiche von Wolverine da auszuheben, wo sie am Ende von „Logan – The Wolverine“ begraben worden war. Wie man wohl damit umgehen wolle, dass man einen Film mit Wolverine machen wolle, obwohl man doch wisse, dass die Figur tot sei, kommentiert Ryan Reynolds als Wade Wilson aus dem Off und nimmt sich unmittelbar damit einer der meistgestellten Fragen an, die im Vorfeld diskutiert worden war. Das Augenzwinkern trifft auf eine Actionszene, wie man sie sich nur in einem „Deadpool“-Film in dieser Form vorstellen kann, eine explizite Auseinandersetzung zwischen Deadpool und einer nicht abreißen wollenden Schar von Kontrahenten zu den Klängen von des *NSYNC-Hits „Bye Bye Bye“, eine Mischung aus Actionpainting und Videoclip-Tanzchoreographie, die als Kulisse für die Titelsequenz dient. 

Überhaupt ist „Deadpool & Wolverine“ am besten als Jukebox beschrieben, hangelt sich die Handlung von einem bekannten Song zum nächsten (stellvertretend seien „Hell’s Bells“ von AC/DC und „You’re the One That I Want“ von Olivia Newton-John und John Travolta genannt), bis der Film im Showdown mit „Like a Prayer“ von Madonna seine Apotheose findet. Die Story selbst soll hier nur grob umrissen werden, die zahllosen Überraschungen, die der Film im Fünf-Minuten-Rhythmus aus dem Ärmel schüttelt, sollen es in dieser Besprechung auch bleiben. Jeder hat es verdient, die zahlreichen Easter-Egss, Anspielungen, Referenzen und Gastauftritte selbst zu entdecken. Das Multiverse macht alles möglich. Es reicht zu wissen, dass Deadpool schließlich tatsächlich Seite an Seite mit Wolverine durch den Film geht, als Odd-Couple, das sich nicht ausstehen kann, einander nicht ertragen kann und nicht im Entferntesten miteinander auskommt, ein bisschen wie Nick Nolte und Eddie Murphy in „Nur 48 Stunden“, nur eben mit zwei der bekanntesten Marvel-Superhelden, die so gar nicht zusammenpassen mögen, aber letztlich doch gemeinsame Sache machen, um das Universum von Wade Wilson zu retten und sich der sehr bösen Zwillingsschwester von Professor X entgegenzustellen, Cassandra Nova, gespielt von der ebenso zierlichen wie effektiven Emma Corrin, die junge Lady Di aus „The Crown“.

Dogpool und Ryan Reynolds als Deadpool/Wade Wilson in „Deadpool & Wolverine“ (Credit: Jay Maidment. © 2024 20th Century Studios / © and ™ 2024 MARVEL)

Von allem ein bisschen zu viel und deshalb auch goldrichtig ist „Deadpool & Wolverine“. Man ist verblüffend, wie ein Film mit so viel HANDLUNG und DIALOG, so wenig erzählen kann und zu sagen hat. Ebenso verblüfft ist man, wie man von einem so leeren und albernen Film so berührt sein kann. Weil am Ende dann doch Shawn Levy das Ringen um die Seele gewinnt: Nachdem die ersten beiden Filme der gängigen Erfolgsformel des Superheldenkino mit Subversion und Verachtung begegnet waren, ist die Subversion diesmal, wie sehr „Deadpool“ hier seine Menschlichkeit findet, ohne jemals den Kern seines Charakters zu verraten. Was am Ende ein Verdienst von Ryan Reynolds und Hugh Jackman ist. Sie sind das beste ungleiche Paar seit Laurel & Hardy. Und ihre Chemie, ihr blindes Verständnis für die Instinkte des jeweils anderen, ihr erstklassiges Timing ist makellos. Wo Reynolds/Jackman aufhören und Wade/Logan anfangen, ist nicht immer klar. Genau das ist ihre große Kunst. Ihnen gehört die ungeteilte Sympathie des Publikums, sie sind aufrecht und wahrhaftig, auch wenn der Film seinen selbstparodistischen Bogen überspannt, sie sind Stehaufmännchen wie Keaton, Chaplin oder Lloyd. Sie verweisen auf die Urväter der Klamotte und sind doch ganz Hier und Jetzt, wie die Essenz des Kinos, als es auf den Jahrmärkten die Massen noch in Staunen und Wunder versetzten. Bessere Werbung für die große Leinwand lässt sich kaum machen. 

Thomas Schultze