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Konstanze Speidel von Flare Film: „Mit den Geschichten nah am Puls der Zeit sein“

Konstanze Speidel baut als Head of Development und Produzentin bei Flare Film den Doku-Bereich aus. Ihr Projekt „VONA. Inside Ecocide“ ist zu Cannes Next beim Marché du Film eingeladen worden. Wir sprachen mit ihr über ihre Arbeit, aktuelle Projekte und die Liebe zur Dokumentarfilmproduktion.

Die erfahrene Dokumentarfilmproduzentin Konstanze Speidel verstärkt seit ein paar Monaten die Berliner Produktionsfirma Flare Film (Credit: Kolja Raschke)

Sie sind als Produzentin und Head of Development zu Flare Film gestoßen und sollen den Bereich Dokumentarfilm und Doku-Serie weiter ausbauen. An was arbeiten Sie aktuell? 

Konstanze Speidel: Ich bin seit letztem Herbst bei Flare Film für die Entwicklung neuer Dokumentarfilme, Dokus und Doku-Serien zuständig, aber produziere auch aktuell die High-End Doku-Serie „The Wagner Brothers: Zwei Brüder ein Traum“ für die ZDF-Mediathek. Wir begleiten seit fast einem Jahr die beiden Basketball-Weltmeister Moritz und Franz Wagner, die es in die NBA geschafft haben und zusammen im Team der Orlando Magic spielen. Wir sind da sehr nah dran, dürfen bei der NBA hinter den Kulissen dabei sein, was sehr besonders ist und können intime Einblicke in das Leben zweier junger Hochleistungssportler geben, die im Sommer auch bei Olympia dabei sein werden. Hoch emotional, dramatisch und unterhaltsam. 

Was zeichnet Flare Film aus?

Konstanze Speidel: Flare Film zeichnet grundsätzlich schon immer aus, dass wir – neben Spielfilmen – besondere, qualitativ hochwertige, aber auch hoch relevante Dokus und Doku-Serien entwickeln und produzieren. Preisgekrönte persönliche Autoren-Filme wie „Walchensee Forever“ von Janna Ji Wonders, und „Vergiss mein nicht“ von David Sieveking, oder gesellschaftsrelevante Filme wie „Anima – Die Kleider meines Vaters“ von Uli Decker, der 2023 den Bayerischen Filmpreis erhalten hat und gerade TV-Erstausstrahlung im ZDF feiert. 

Welche Projekte sind außerdem in Entwicklung und am Entstehen?

Konstanze Speidel: Wir entwickeln gerade einige Crime- und Polit-Stoffe, die aber immer auch eine gesellschaftliche Komponente haben und bei denen es offene Fragen gibt, denen man im Hier und Jetzt nachgehen kann. Uns interessieren Geschichten und Themen, die vielschichtig sind und die mehrere Erzählebenen haben. Ich habe tatsächlich vor kurzem auch das erste Mal eine Doku-Serie entwickelt, zu der ich einen persönlichen Bezug habe, über die Entführung meiner Schulfreundin. Die Doku-Serie ist vor kurzem in der ARD-Mediathek erschienen: „Das verschwundene Mädchen. Neue Spuren im Fall Ursula Herrmann“, umgesetzt von Marie Wilke. Wir sind nach vielen Jahrzehnten neuen, bislang vernachlässigten Spuren nachgegangen und haben versucht, der Wahrheit ein bisschen näher zu kommen.

Und darüber hinaus?

Konstanze Speidel: Ich arbeite auch an internationalen Koproduktionen, aktuell an einem historischen Stoff über das Schicksal einer besonderen Frau, der mir sehr am Herzen liegt. Es geht um Alma Rosé, die Nichte Gustav Mahlers, die das Mädchen-Orchester in Auschwitz geleitet und viele Frauen gerettet hat. Wir haben bereits mit zwei Überlebenden gedreht und verfügen so über Interviews der letzten Zeitzeuginnen. Aber auch mit unserer Fiktion-Abteilung arbeite ich eng zusammen, denn die Kraft von echten Geschichten ist eine große Inspirationsquelle für Figuren in Serien oder im Spielfilm. Es kommt immer häufiger vor, dass wir einen Stoff parallel für eine Doku- und eine fiktionale Auswertung entwickeln, so können wir unsere Recherchen gemeinsam nutzen und die Projekte befruchten sich im Idealfall gegenseitig. 

Gibt es noch mehr Synergien?

Konstanze Speidel: Das besondere bei Flare Film ist, dass wir seit zwei Jahren Teil eines europäischen Produktions-Netzwerkes sind, der Newen Studios Group mit einem gleichzeitig starken Vertriebsarm, Newen Connect in Paris und London. In dem Netzwerk sind ausgesuchte Firmen, wie Real Lava aus Dänemark oder Rise Films aus UK, Emmy-Gewinner und Oscar-Shortlistet, mit denen wir eng zusammenarbeiten. Es kommen über diesen Weg nicht nur spannende Projekte für internationale Koproduktionen zu uns aus allen Teilen Europas, im Netzwerk haben wir auch Access zu Talents und Stoffen, die wir uns gegenseitig mehrmals im Jahr pitchen.

Wie finden Sie Ihre Projekte – ganz allgemein? Welchen Ansatz verfolgen Sie? 

Konstanze Speidel: Das ist lustigerweise die mir am öftesten gestellte Frage, und ich kann nur sagen, das sind ganz unterschiedliche Wege. Aber oft ergeben sich aus laufenden Recherchen oder Dreharbeiten von Filmen neue Themen, insofern habe ich manchmal das Gefühl meine Stoffe finden auch mich… Als langjährige Dokumentarfilmproduzentin geht man, glaube ich, immer mit einer Art innerem Radargerät durch die Welt, das kann ein Gespräch mit jemanden sein, ein Zeitungsartikel, ein Buch, eine Talkshow, ein Podcast. Und manchmal sind es auch Zufälle. Zum Beispiel hatte ich für meinen Film über Ingmar Bergman mit Margarethe von Trotta ein altes Bergman-Interview zur Lizenzierung angefragt. Im persönlichen Telefonat stellte sich dann heraus, dass die Journalistin seit über 25 Jahren einen Fall recherchiert: Den Untergang der Fähre Estonia, die 1994 zwischen Tallinn und Stockholm in der Ostsee gesunken ist, und auf der illegal Militärgüter geschmuggelt wurden. Der Untergang ist nie ganz aufgeklärt worden. Eine tragische, aber auch politische Geschichte über ein Cover-Up mit vielen ungeahnten Wendungen. Daraus hat sich eine extrem spannende investigative Recherche für eine Doku-Serie ergeben, der wir nachgegangen sind. So etwas lässt mich dann erstmal nicht mehr los, das ist schon auch ein bisschen wie eine Sucht. Ich erzähle auch gerne mit und aus besonderem Archivmaterial, vor allem mit historischen Dokumenten und Footage und arbeite mit einem unglaublich guten Archiv-Producer zusammen, oft auch schon in der Entwicklung. Grundsätzlich möchte ich mit meinen Geschichten immer nah am Puls der Zeit sein, alles was gesellschaftlich, politisch oder kulturell relevant ist, interessiert mich, aber auch besondere Menschen und ihre Biographien. 

Wie gestaltet sich die Finanzierung von Dokumentarfilmprojekten in Deutschland? Ist das oft auch schwierig, weil man im Entstehungsprozess meist nicht weiß, wohin die Reise geht mit einem Projekt?

Konstanze Speidel: Keine Frage: es sind herausfordernde Zeiten für Produzentinnen und Produzenten, vor allem auch finanziell. Die Gagen und Kosten für die Herstellung von Dokus und Doku-Serien sind extrem gestiegen, die Budgets im Verhältnis dazu aber wenig. Gleichzeitig ist der Anspruch an Dokus gewachsen, das Development ist daher oft schon ein gewisses Investment und damit auch ein Risiko für den Produzenten. Beispielsweise sind investigative Stoffe oder das Optionieren von IPs bereits in der Entwicklungsphase kostenintensiv. In Skandinavien wird die Entwicklungsphase unbürokratischer unterstützt und ist oftmals besser ausgestattet, da ist bei uns noch Luft nach oben.

Wie werten Sie die Präsenz von Dokumentarfilmen im Allgemeinen? 

Konstanze Speidel: Es ist definitiv eine gute Zeit für Doku-Serien und Dokus, der Bedarf an Content auf allen Distributionskanälen hoch und der Appetit nach guten Stories nach wie vor groß. Durch die Internationalisierung und den Einfluss der Streamer wird ein höheres Niveau und eine Vielfalt an Erzählformen erwartet, dass das Genre Doku insgesamt gepusht hat. Und wir leben in einer Zeit von großen Herausforderungen und extremen Umbrüchen: Dokus haben die Möglichkeit, komplexe Sachverhalte zu erklären, einzuordnen, zu informieren und Missstände oder falsche Machtstrukturen aufzeigen. Ich habe gerade eine wichtige Doku meiner Newen-Netzwerk-Kollegin gesehen über drei mutige Frauen in Ungarn, die gegen Victor Orban kämpfen. Der Film hat sehr gut gezeigt, wie geschickt Orban alle demokratischen Institutionen peu à peu eingeschränkt und schließlich so gut wie ausgeschaltet hat. Der Film hilft zu verstehen, was gerade in vielen Ländern passiert und ist eine eindrückliche Warnung an uns, wachsam zu sein und zu beobachten, was in unserem Land passiert. „Democracy Noir“ von Connie Field läuft jetzt im Mai auf dem Dok.fest in München und ich kann den Film nur wärmstens empfehlen.

Was steht als Nächstes an? Geht es für Sie nun auch nach Cannes?

Konstanze Speidel: Als nächstes bin ich Mitte Mai mit einem Projekt in Cannes, das im Rahmen des Marché du Film von Cannes Next beim Filmfestival eingeladen ist. „VONA. Inside Ecocide – Environmental Stories from the Frontline“ dokumentiert ökologische Verbrechen im Ukraine-Krieg. Das Projekt ist zwar noch in der Pre-Production, wird aber als Teil einer Impact Kampagne in einem 36-stündiger Hackathon unter Mitwirkung der estnischen Premierministerin Kaja Kallas und der ukrainischen Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matviichuck vorgestellt. Olena Selenska, die Ehefrau des ukrainischen Präsidenten, ist auch Teil des Projekts. Wir suchen noch weitere Finanzierungpartner für die Umsetzung, also an alle Interessenten die in Cannes sind: ihr könnt euch gerne bei mir melden! Außerdem, drehe ich gerade mit David Sieveking seinen neuen Kino-Dokumentarfilm über Polit-Aktivismus und zivilen Ungehorsam und seinen Einfluss auf Gesellschaft und Politik. Ein hoch aktuelles und relevantes Projekt, das die fruchtbare und langjährige Zusammenarbeit mit David fortsetzt. Der Film wird 2026 ins Kino kommen. Und dann freuen wir uns natürlich sehr auf die Premiere der Wagner-Brüder-Basketball-Serie, die Ende des Jahres zu sehen sein wird. Bis dahin ist aber noch einiges zu tun.

Das Gespräch führte Barbara Schuster