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LOCARNO-Snapspot: Kollektives Schwitzen

Die Branche in den Schwitzkasten nehmen. Ohne Schweiß, kein Preis. Schwitzt du noch, oder klebst du schon? Bei der 77. Ausgabe des Locarno Film Festival flüchtet man sich gerne ins (meist) kühle (manchmal zu kühle) Kino.

Alfonso Cuarón und Mohammad Rasoulof in Locarno (Credit: Locarno Film Festival)

Die Sonne brennt, die Hitze hat die Festivalbesucher des Locarno Film Festival im Griff. Aber man lacht darüber, wenn man nebeneinander steht und redet und dabei spürt, wie der Schweiß unter der Kleidung am Körper hinunterrinnt. Die Profis haben Fächer dabei. Die anderen wedeln mit Programmheften. Im Kino ist es (meist) angenehm kühl, zum Glück. Manchmal auch zu kühl. Der beste Ort also, um sich zu verstecken. Viel ist los, das kleine Städtchen vibriert, in Wallung wird es vor allem versetzt, wenn Stars kommen, wie vor wenigen Tagen Bollywood-Legende Shah Rukh Khan, der selbst in der Schweiz Kreischalarm auslöst, als er einen Ehrenpreis überreicht bekam (und dabei witzelte, dass er sich bei dieser Hitze gleich wie zuhause in Indien fühle), oder der fünffache Oscarpreisträger Alfonso Cuarón, der trotz der mehr als hochsommerlichen Temperaturen eine lange Masterclass über sein Kino abhielt (und ebenfalls mit einem Ehrenpreis ausgezeichnet wurde).

Superstar aus Indien: Shah Rukh Khan mit dem Ehren-Leopard auf der Piazza Grande (Credit: Migliorato/Locarno Film Festival)

Beim Dinner mit den Filmteams von „Der Fleck“ und „Der Spatz im Kamin“ ist es zwar schon 19 Uhr, aber trotzdem schwitzen alle beim Champagner-Aperitif im Palazzo Casorella. Aber wie gesagt, alle nehmen’s mit Humor, der Stimmung tut die natürliche Sauna keinen Abbruch. Die Filmarbeiten stehen im Mittelpunkt – ok, das Mückenspray von Maren Eggert benutzt man auch gerne, wenn die Moskitos all zu lästig werden. Es gibt köstliches Essen, am Tisch schwitzen alle kollektiv weiter. Die portable Klimaanlage bläst in die andere Richtung, reicht nicht für den gesamten Raum. Die Gespräche kreisen um die Filme, die man schon gesehen hat, man holt sich Tipps und Empfehlungen, fächelt hin und wieder Luft in sein Hemd.

Pia Marais (5.v.r.) und Christoph Friedel von Pandora (6.v.r.) sowie andere Teammitglieder von „Transamazonia”

Die Hitze spielt auch in Filmen eine Rolle, wie etwa in Pia Marais‘ im Amazonas Regenwald spielendem „Transamazonia“. Hauptdarstellerin Helena Zengel erzählte, wie das war beim Dreh in Französisch-Guyana nahe der brasilianischen Grenze im Regenwald. Die hohe Luftfeuchtigkeit war gnadenlos, war aber auch gut, um die Stimmung für diesen Film zu finden. In der Geschichte spielt auch die Abholzung des Regenwaldes eine Rolle, die Bedrohung für die indigene Bevölkerung. Es gibt genügend Schlagzeilen, die auf die Missstände aufmerksam machen, dass Waldbrände, Abholzung und Dürre den Druck auf den Amazonas von Jahr zu Jahr erhöhen. Das hat Pia Marais bei ihren Recherchen mit eigenen Augen gesehen, wie sie bei der PK sagte: „Man fährt und fährt über weite Strecken durch diesen Regenwald. Und überall sieht man Holzfäller, die auf Motorrädern herumfahren, mit ihren Motorsägen auf dem Rücken. Es gibt riesige Flächen, die einfach abgeholzt sind. Das ist erschreckend. Und überall gibt es Kirchen.“ Die Evangelikalen reisen in die hintersten Winkel dieser Region, um die indigenen Menschen zum „richtigen“ Glauben zu bekehren. Auch das ist ein Thema in Marais‘ mit eindringlicher Bildsprache inszeniertem modernen Western. 

Die Piazza Grande gehörte am 12. August „Shambhala”-Regisseur Min Bahadur Bham und seinem Team

Im Piazza-Grande-Beitrag „Shambhala“ von Min Bahadur Bham spielt Hitze selbst keine Rolle. Der Film spielt auf dem höchstgelegenen von Menschen besiedelten Fleckchen der Welt. Das Filmteam hat teilweise auf 6000 Meter Höhe gedreht, unter abenteuerlichen Bedingungen, wie Min mir im Interview erzählte. Das Gespräch über das Wetter bliebt auch hier nicht aus. Heftige Winde, teilweise Schneefall erschwerten die Dreharbeiten in der Bergregion des Himalayas. Hier in Locarno sei es ihm viel zu heiß, wie er sagt. Da hat ihm das Wetter in Berlin besser gefallen. Dort hatte „Shambhala“ im Februar Weltpremiere gefeiert, im Wettbewerb von Carlo Chatrians letzter Berlinale, als erster nepalesischer Film in der Geschichte des traditionsreichen Festivals.

Silvan und Ramon Zürcher beim Photocall in Locarno (Credit: Locarno Film Festival / Ti-Press)

Die Berlinale kennen auch die Zürcher-Brüder gut. Dort liefen ihre beiden Vorgänger-Filme: „Das merkwürdige Kätzchen“ sowie „Das Mädchen und die Spinne“. Mit ihrem dritten Film, „Der Spatz im Kamin“, wurden sie nun in den Internationalen Wettbewerb des Locarno Film Festival eingeladen. Die Freude ist groß. „Wir sind ja noch nie im Wettbewerb eines A-Festivals gelaufen. Das ist toll“, so die Zwillingsbrüder, die in Berlin leben, aber auch hin und wieder Zeit in ihrer Schweizer Heimat Biel verbringen. Zum Interview kommen sie mit dem Rad, „im luftigen Outfit dieses Mal“, wie sie scherzen, „nachdem wir ja gestern beim Abendessen alle so geschwitzt haben“. Der Abschluss ihrer Trilogie kam gut an in Locarno, das Fevi war bis auf den letzten Platz ausverkauft, beim Q&A standen die Leute sogar um die Absperrung des Forum @ Spazio Cinema herum – trotz sengender Hitze wohlgemerkt. In „Der Spatz im Kamin“ geht es ebenfalls heiß her – aber mehr im übertragenen Wortsinn: Hier ätzt sich eine Familie bis aufs Blut an, kann man sagen. Konflikte werden offen ausgetragen, weniger hitzige Diskussionen als vielmehr eiskalte Dialoge lassen einen Schauer, nicht Schweiß, den Rücken hinunterlaufen. Mir hat der Film sehr gut gefallen! 

Aus Locarno berichtet Barbara Schuster.