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LOCARNO-Snapspot: Die große Jane Campion

Morgen erhält Oscargewinnerin Jane Campion den Ehren-Leoparden des 77. Locarno Film Festival – ein Preis, den bereits Regielegenden wie Bernardo Bertolucci, Ken Loach, Agnès Varda oder Jean-Luc Godard entgegennehmen durften. Heute stand sie bereits der Presse in einer PK Rede und Antwort. 

Pardo d’onore Manor 2024 an Jane Campion (Credit: Grant Matthews, courtesy of Netflix)

Seitdem sie vor 35 Jahren mit ihrem Debüt „Sweetie“ erstmals auf sich aufmerksam machte, gehört Jane Campion durchgehend zu den interessantesten und spannendsten Filmemacher:innen unserer Zeit. Vor zwei Jahren erhielt sie als überhaupt erst zweite Frau den Oscar für die beste Regie für ihren Western „The Power of the Dog“, der zuvor bereits in Venedig den Regiepreis hatte gewinnen können. Bereits 1994 war die Neuseeländerin Gewinnerin eines Drehbuch-Oscars für „Das Piano“, der in Cannes mit einer Goldenen Palme als bester Film – ex aequo mit „Lebewohl, meine Konkubine“ – ausgezeichnet worden war. Nun ist die 70-Jährige erstmals in Locarno, um gegen Ende des Festivals am 16. August den Pardo d’Onoreentgegenzunehmen, den wichtigsten Ehrenpreis des Festivals, den vor ihr erst drei Frauen gewinnen konnten: Kira Muratova, Agnès Varda und Kelly Reichardt. 

In einer PK stellte sich Jane Campion den Fragen der Presse, bevor sie morgen den Preis parallel zu einem Screening von „An Angel at My Table“ entgegennimmt. Am Samstag wird noch eine Masterclass folgen. Wie ihre Haltung zu ihren abgeschlossenen Filmen sei, wurde sie zunächst gefragt. „Very troubled!“, sagte sie lachend. „Filme so lange zu schleifen, bis ich sie in die Welt entlassen kann, ist für mich ein sehr intensiver Prozess. Wenn ich dann so weit bin, habe ich ein zwiespältiges Verhältnis zu ihnen. Ich denke, ich bin wie eine Tiermutter und sage: Jetzt bist du so weit, weg mit Dir. Ich bin froh, wenn ich sie aus dem Weg habe. Sonst könnte ich nicht weitermachen.“ 

Obwohl sie mit „An Angel at My Table“, „Das Piano“, „Bright Star“ und „The Power of the Dog” bereits mehrere Klassiker inszeniert hat, gibt es in Jane Campions Filmographie auch eine Reihe von Titeln, die bei ihrer Veröffentlichung nicht die verdiente Aufmerksamkeit erfuhren oder für Irritationen und Unverständnis sorgten. Heute werden ehedem stiefmütterlich behandelte Titel wie „Portrait of a Lady“, „Holy Smoke“ und „In the Cut“ einer neuen Evaluation unterzogen. Entsprechend auch die Frage, ob sie den Eindruck habe, dass diese Filme vielleicht anders bewertet würden, wenn sie heute erschienen. „Ich kann Ihnen keine gute Antwort darauf geben“, meinte sie. „Vielleicht wurden sie damals missverstanden, weil die Industrie sehr männerlastig war. Das ist sie zwar immer noch, aber es hat sich viel getan.“ Sie nannte Filmemacherinnen wie Chloe Zhao oder Justine Triet, die heute gefeiert werden und Preise gewinnen würden. 

Wird in Locarno gezeigt: „An Angel at My Table“ (Credit: Hibiscos Films)

„Es gab damals bestimmt viele unterschiedliche Gründe, warum die Filme damals nicht auf die Resonanz stießen, die sie meiner Meinung nach verdient gehabt hätten“, fuhr sie fort. „Nehmen Sie ,Portrait of a Lady“‘ Ich glaube, dass die Menschen damals noch nicht bereit waren, Nicole Kidman als die große Schauspielerin zu akzeptieren, die sie wirklich ist. In der Öffentlichkeit sah man sie damals mehr noch als Ehefrau von Tom Cruise. Und überhaupt ist es nicht einfach, Henry James zu verfilmen. Und ,Holy Smoke‘? Nun, ich denke, der Film war einfach sehr provokativ und fiel nicht auf den fruchtbaren Boden, auf dem er hätte wachsen können. Ich merkte, dass ich gegen eine Wand lief. Es geht immer um Geld, und das Geld haben die Männer.“ Damals habe es auch noch nicht so viele weibliche Filmkritiker gegeben. Die Kritiken seien in erster Linie von Männern geschrieben worden. „Seither hat sich einiges geändert. Und dann natürlich ,In the Cut‘. Ich wusste, dass es ein schockierender und provokativer Film war. Mein Eindruck ist, dass er heute anders betrachtet wird. Aber ich habe mir immer gesagt: Halt den Mund und mach weiter. Dann kann man nicht so enttäuscht sein.“ Ob sie den Erfolg von „Das Piano“ als Druck empfunden habe oder als Segen, wollte ein Journalist wissen. „Es war eine schwierige Zeit für mich. Ich habe ein Baby verloren und habe gerungen, überhaupt am Leben zu bleiben. Ich erinnere mich an diese Zeit als höchst problematisch. Erst heute, wenn ich zurückblicke, realisiere ich, dass der Film auch ein Geschenk war für mich.“

Beim 75. Jubiläum des Festival de Cannes vor zwei Jahren hatte das Festival so viele vormalige Gewinner und Freunde des Festivals eingeladen. Unter einer Armada von männlichen Kollegen war Campion die einzige Frau an diesem Abend. „Wenn keine Frau dabei gewesen wäre, wäre es gar nicht aufgefallen“, meint sie. „Dass ich die einzige Frau war, ließ mich wie ein Ausrufezeichen sein. Ich denke, dass es meinen Kollegen um mich herum ebenfalls auffiel und es ihnen peinlich war.“ Nun hat sich auch für Jane Campion viel verändert. „Der Erfolg von ,Power of the Dog‘ so spät in meiner Karriere war in dieser Form nicht zu erwarten“, findet sie. „Das hat mir viel Freude bereitet, weil ich auch sehr stolz auf den Film bin. Außerdem stellt der Erfolg sicher, dass das nötige Geld da sein wird, wenn ich den nächsten Film in Angriff nehme. Ich würde mir wünschen, dass es nicht nur mir so geht: Ich hoffe, dass es auch künftig noch eine Landschaft geben wird, in der es Filmemachern möglich sein wird, sich zu verwirklich und große Filme zu erschaffen.“

Vor allem äußert sich Jane Campion erfreut darüber, dass es heute so viel mehr Frauen gibt, die Filme und Serien drehen. „Das inspiriert mich“, sagt sie. „Ich fühle eine Verwandtschaft mit ihnen, allerdings sehe ich mich mehr als das alte Tantchen von Julia Ducournau, Justine Triet und Audrey Diwan. Es ist nicht so, dass sie einfach nur ihre Projekte realisiert bekommen, sondern dass sie damit auch auf die Resonanz stoßen, die ihre Werke verdienen. Ich sehe, dass sie ihre Filme finanziert bekommen. Und darauf kommt es an.“ Ihr selber ermöglichen die jungen Kolleginnen, ihren eigenen erzählerischen Fokus erweitern und nun auch Filme mit Männern in der Hauptrolle erzählen zu können. „Dass ich so lange immer Frauen in den Mittelpunkt rückte, hatte einen politischen Grund. Solange ich allein auf weiter Flur war, dachte ich, ich müsste über Frauen erzählen, weil es diesen Blick sonst nicht gegeben hätte. Erst als ich gemerkt habe, dass es immer mehr Frauen gibt, die Filme machen, konnte ich meinen Fokus öffnen. Aber lassen Sie mich festhalten: Ich finde alle Menschen interessant, ich trenne da nicht zwischen Geschlechtern.“ 

Aus Locarno berichtet Thomas Schultze.